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Schlupfwespen: HauptAutor Siegfried Keller im Interview

Schon einmal von Schlupfwespen gehört? Vielleicht haben Sie diese kleinen unterschätzten Insekten ja bereits unbewusst auf Ihrem Balkon beobachtet? Oder sogar aktiv eingesetzt gegen pflanzenfressende Insekten? Im Interview hat uns Siegfried Keller, Mitautor des Buches «Schlupfwespen» so einige interessante Details … Weiterlesen →

Schon einmal von Schlupfwespen gehört? Vielleicht haben Sie diese kleinen unterschätzten Insekten ja bereits unbewusst auf Ihrem Balkon beobachtet? Oder sogar aktiv eingesetzt gegen pflanzenfressende Insekten?
Im Interview hat uns Siegfried Keller, Mitautor des Buches «Schlupfwespen» so einige interessante Details zur Welt dieser faszinierenden Insekten und zu den Hintergründen, den Inhalten des Buches und zur Zusammenarbeit mit Co-Autor Hannes Baur verraten.

Aber lesen Sie selbst …


Woher kommt Ihre Faszination für Schlupfwespen? Und wie kam es dazu, gerade diesem Insekt ein eigenes Buch zu widmen?

Eurytoma sp. – Eiablage in eine Flockenblumen-Blütenknospe.

Tierfotograf zu werden, war einer meiner Kindheitsträume. Aber erst mit dem Aufkommen der Kleinbild-Spiegelreflexkameras wurde dieser Traum zu einem ernsthaften Hobby. Durch meine berufliche Tätigkeit im Bereich der biologischen Schädlingsbekämpfung begannen mich räuberische und parasitische Insekten zu faszinieren. Mein zunehmendes Interesse an Schlupfwespen ist meiner Erkenntnis zu verdanken, dass diese Tiergruppe äußerst vielseitige Lebens- und Verhaltensweisen aufweist, die andererseits aber schlecht dokumentiert sind.

Wie haben Sie den Co-Autor Hannes Baur kennengelernt und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit am Buch?

Wir haben uns als Mitglieder der Schweizerischen Entomologischen Gesellschaft kennen gelernt. Zum persönlichen Kontakt kam es aber erst, als ich nach der Pensionierung meine Diasammlung mit Insektenfotos dem Bildarchiv der ETH übergeben konnte. Bedingung dafür war, dass die abgebildeten Insekten bestimmt werden mussten. Da auf rund einem Drittel der über 10‘000 Dias Schlupfwespen abgebildet waren, suchte ich den Kontakt zu Spezialist:innen. Hannes Baur war mir als Erzwespenspezialist bekannt und so war es naheliegend, dass ich mich an ihn wandte, nicht nur zur Bestimmung von Schlupfwespen, sondern auch, um Kontakte zu anderen Spezialist:innen zu bekommen. Zur Buchidee kam es aber erst, als ich Hannes ein Ifolor-Fotobuch, das ich für meine Enkel machte, zur Begutachtung unterbreitete. Hannes hatte ein Manuskript, das er für seine Vorlesungen an der Uni Bern verwendete und so konnte in idealer Weise sein Text mit meinen Fotos kombiniert werden, ergänzt durch detaillierte Beschreibungen der Biologie einzelner Arten in den vorgestellten Familien.

Ein Weibchen von Leucospis dorsigera putzt sich. Deutlich zu erkennen sind der punktierte Körper, das für Wespen ungewöhnlich stumpfe Hinterleibsende und der über den Rücken gelegte Legebohrer.

Welche Funktion oder Aufgabe übernimmt die Schlupfwespe in unserem Ökosystem und wie wird sie für uns Menschen eingesetzt?

Schlupfwespen sind in erster Linie Gegenspieler von pflanzenfressenden Insekten, deren Populationen sie mit Hilfe anderer Gegenspieler (Räuber und Krankheiten) unter Kontrolle halten. In der Landwirtschaft werden Schlupfwespen gezielt zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt.

Im Buch werden verschiedenste Schlupfwespenfamilien präsentiert. Haben Sie eine Lieblingsfamilie und falls ja, warum?

Meine Lieblingsfamilie sind die Platygastridae. Diese mehrheitlich zwei bis drei Millimeter kleinen Wespen sind wichtige natürliche Feinde von Gallmücken und als solche nur dem Spezialisten oder der Spezialistin bekannt. Sie verfügen über spezielle körperliche Merkmale wie einen stark verlängerten Hinterleib oder ein «Horn» auf dem Rücken, in dem der mehr als körperlange Legebohrer in Ruhelage untergebracht ist. Es existieren nur wenige fotografische Dokumente zu ihrem Verhalten, das mich immer wieder fasziniert: Wie gelingt es ihnen, die ins Pflanzeninnere abgelegten, von Auge kaum sichtbaren Eier ihrer Wirte zu finden und mit ihren noch viel kleineren Eiern zu belegen? Es handelt sich im wahrsten Sinn um eine mikrochirurgische Meisterleistung.

Leptacis tipulae parasitiert ausgewachsene Erbsengallmückenlarven nach dem Verlassen der Gallen.

Wie oder wo lassen sich Schlupfwespen am besten beobachten und wie können wir sie unterstützen (z.B: im Garten oder auf dem Balkon)? Haben Sie Tipps für interessierte Lai:innen?

Im Buch sind fünf Lebensräume erwähnt, wo Schlupfwespen beobachtet werden können. Ein besonders guter und auch reichhaltiger Standort sind Bienenhotels, in denen die einzelnen Nistelemente einige Jahre verbleiben. Aber auch Totholz, Blütenknospen von Disteln und ihren Verwandten, Brennesselbestände oder die Gallen von Eichengallwespen. Im Garten oder auf dem Balkon können Schlupfwespen beim Parasitieren von Blattläusen beobachtet werden. Unterstützen können wir sie mit dem Verzicht auf Pflanzenschutzmittel und dem Anpflanzen von Doldengewächsen. Ihr leicht zugänglicher Nektar ist eine wichtige Energiequelle.

Welche Botschaft(en) möchten Sie mit dem bibliophilen Werk vermitteln?

Apoanagyrus lopezi parasitiert eine junge Maniokschmierlaus.

Mit dem Buch möchten wir diese wichtige Wespengruppe einem breiteren Publikum bekanntmachen. Sie hat ohne Zweifel den gleichen ökonomischen und ökologischen Stellenwert wie die besser bekannten Bienen. Schlupfwespen sind wesentlich dafür verantwortlich, dass pflanzenfressende Insekten unter Kontrolle gehalten werden.

Und zum Schluss: Haben Sie ein besonderes Erlebnis in Verbindung mit diesem Insekt, das Sie geprägt hat und das Sie hier mit uns teilen möchten?

Es sind zwei Erlebnisse, die sich in meine Erinnerung eingeprägt haben. Da ist zum einen die erste Begegnung mit einer Riesenschlupfwespe. Ich konnte sie über längere Zeit beobachten, wie sie auf einem gefällten Lärchenstamm langsam hin und her schritt, dann verharrte und schließlich ihren Legebohrer mühsam ins Holz stach. Wie hatte sie wohl diese Stelle gefunden? Das andere Erlebnis hatte ich in einem Schilfbestand, wo ich eine Gallmücke bei der Eiablage in einen Schilfstängel beobachtete. Wie aus dem Nichts erschien eine Platygastride mit stark verlängertem Hinterleib. Diesen schob sie neben der Legeröhre der Gallmücke in das gleiche Loch mit der Absicht, die von der Gallmücke soeben gelegten Eier zu parasitieren. Wie findet die winzige Wespe in so kurzer Zeit ihren Wirt?

Fotos: © Siegfried Keller


 

Autor Siegfried Keller (*1943) studierte Agrarwissenschaften an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und doktorierte am dortigen Entomologischen Institut. Bis zu seiner Pensionierung forschte er an der Eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope Zürich-Reckenholz im Bereich biologische Schädlingsbekämpfung. Er war Lehrbeauftragter an der ETH Zürich und Gastdozent an der BOKU Wien.

 

 

Autor Hannes Baur (*1964): Ausbildung zum Primarlehrer in Bern. Ab 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Naturhistorischen Museum Bern, ab 2016 Kurator Entomologie im Bereich Forschung (Taxonomie), Sammlungsbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit. Diverse wissenschaftliche Publikationen, u.a. über Heuschrecken, Erzwespen und Morphometrie. Als Dozent der Universität Bern leitet er Exkursionen und Kurse.


Illustrator Armin Coray (*1955) ist wissenschaftlicher Zeichner. Seit 1979 ist er freier Mitarbeiter am Naturhistorischen Museum Basel. Er war Dozent für Tuschzeichnen an den Kunsthochschulen von Zürich (1986-2020) und Luzern (2007-2021). Er hält Vorträge, ist an Ausstellungen beteiligt und Autor diverser entomologischer Publikationen. 2018 verlieh ihm die Universität Basel den Titel eines Ehrendoktors.