
Moorwanderung: Franches Montagnes (JU)
Sommerzeit ist Wanderzeit!
Wurden Moore früher als unnützes Ödland betrachtet, so sind sie heute als wichtige Lebensräume zur Erhaltung der Biodiversität anerkannt und geschützt. Dabei präsentieren sich die in der Schweiz erhaltenen Moorgebiete als überaus vielfältig und artenreich und vermögen mit ihrer ganz eigenen Schönheit und Atmosphäre immer wieder aufs Neue zu faszinieren.
Im Wanderführer «Moorwanderungen» nehmen zehn Moorkennerinnen und -experten den Leser mit auf eine Entdeckungsreise zu den schönsten Moorbiotopen der Schweiz.
In unserem Online-Magazin machen wir uns auf den Weg in den schönen Jura. Noch genauer in den Bezirk Franches Montagnes, vorbei an dem beliebten Moorsee Etang de la Gruère, bekanntes Ausflugsziel von Klassen und Familien. Tauchen Sie ein in eine idyllische, zauberhafte Seemoorlandschaft im Nordosten der Schweiz.
Text und Fotos: ©Raphael Weber
Um zum Ausgangsort unserer Wanderung zu gelangen, muss im kleinen roten Zug der Jurabahn der Knopf gedrückt werden. Zu klein ist La Chaux-des-Breuleux, als dass hier alle Züge halten würden. Der Weiler mit seinen knapp 100 Einwohnern ist ein wunderbares Beispiel traditioneller Bauweise in den Freibergen. Wir sehen zahlreiche weiss gefärbte Bauernhäuser, deren grosse Dächer bewusst flach gehalten wurden, damit der Schnee im Winter liegen bleibt und vor den noch viel eisigeren Aussentemperaturen schützt.
La Tourbière de La Chaux-des-Breuleux
Unser erstes Tagesziel liegt nur 500 Meter östlich des Weilers: la Tourbière de La Chaux-des-Breuleux. Zwar wurde auch hier, wie in den meisten Mooren der Franches Montagnes (Freiberge), noch bis in die 1960er-Jahre Torf gestochen – davon zeugen unter anderem mehrere Entwässerungsgräben. Der Faszination dieses Hochmoors hat dies aber keinen Abbruch getan. Das Hochmoor besticht allein schon durch seine Grösse von knapp 70 Hektaren, womit es ein wichtiges Objekt im Inventar der Biotope von nationaler Bedeutung ist. Der Wanderweg verläuft direkt entlang des Moors. Sie dürfen auch ruhig einmal ein wenig näher rangehen, denn das Naturschutzgebiet ist mit einem Zaun abgegrenzt, sodass Sie gestoppt werden, bevor Sie die störungsempfindlichen Zonen betreten. Im westlichen Teil ist das Moor noch stärker mit Nadelbäumen bewachsen, im östlichen Teil öffnet sich das Moor. Grund dafür sind unter anderem mehrere Entwässerungsgräben, die mit Spundwänden versehen wurden, damit das Wasser nicht mehr aus dem Moor abfliesst. Durch die Vernässung sterben die Bäume ab und es kann sich wieder eine Moorheide ausbreiten, wie sie typisch ist auf sekundären Hochmoorflächen, auf denen ein Teil des ursprünglichen Torfs abgetragen wurde. Verschiedene Pflanzen wie Besenheide (Calluna vulgaris), Pfeifen- und Wollgräser (Molinia spp., Eriophorum spp.) sowie Rausch- und Heidelbeeren (Vaccinium uliginosum, V. myrtillus) profitieren von dieser Entwicklung. Zwischen dem Wanderweg und dem Moor entdecken Sie zahlreiche imposante Dolinen – gigantische natürliche Trichter, in die nach starken Regenfällen das Wasser versickert, welches das Moor nicht mehr aufsaugen kann. Zwischenzeitlich wurde auch das Wasser aus den Entwässerungsgräben in die Dolinen geleitet. Vor einer dieser Dolinen wurde von Menschenhand ein kleiner Staudamm errichtet, und so entstand auf der Nordseite des Moors ein idyllischer Teich, gleich südlich des Wanderwegs beim Waldeingang. Mitten durch das Moor verläuft übrigens die Grenze zwischen den Kantonen Jura und Bern, und der Zufall will es, dass die beiden Kantone den exakt gleichen Flächenanteil am Naturschutzgebiet haben: je 33,69 Hektaren. Auf unserer Wanderung bleiben wir heute aber ausschliesslich auf dem Boden des jüngsten Schweizer Kantons, und schon bald folgt denn auch eine seiner bekanntesten Sehenswürdigkeiten.

Im östlichen Teil des Torfmoors La Tourbière de La Chaux-des-Breuleux breitet sich wieder eine Moorheide aus.
Etang de la Gruère
Nach rund vier Marschkilometern und der Überquerung der Hauptstrasse sind wir beim Etang de la Gruère angelangt. Spätestens hier wird offensichtlich, warum das Hochplateau der Freiberge als Skandinavien der Schweiz gilt: Der See ist mit dunkelbraunem Moorwasser gefüllt, das mit winzigen Torfpartikeln durchtränkt ist. Fichten, Berg-Föhren und Birken wachsen aus dem sanft federnden Moorboden heraus. Tatsächlich könnte man sich hier auch in Schweden oder Finnland wähnen. So paradiesisch und unberührt dieser See aber wirkt –er ist nicht natürlichen Ursprungs. Mitte des 17. Jahrhunderts wurde hier ein Damm gebaut, als Wasserspeicher für die damalige Mühle und später für die Schreinerei, die heute immer noch existiert. Weil der Damm klein und zugewachsen ist, fällt er heute nicht mehr auf, und die Natur hat sich längst an die Gegebenheiten angepasst. Heute umfasst dieses Moor von nationaler Bedeutung rund 100 Hektaren Fläche, darunter auch mehrere primäre Hochmoorflächen, auf denen nie Torf abgetragen worden ist. An Sommerwochenenden kann hier viel Betrieb herrschen, und trotzdem verkommt der Etang nie zu einem ärgerlichen Touristenmagnet und strahlt immer eine gewisse Magie aus. Tatsächlich lohnt sich ein Besuch auch zu jeder Jahreszeit: Im Frühling hüllen die gelb blühenden Sumpf-Dotterblumen (Caltha palustris) die Ufer in ein Farbenmeer. Gleiches gilt im Herbst, wenn die Birken und die Bodenvegetation gelbrötlich leuchten. Im Sommer empfiehlt sich ein Bad in diesem Moorsee. Obwohl dieser auf 1000 Metern über Meer liegt, ist er überraschend warm – so wie auch die skandinavischen Moorseen. Dies, weil der See kaum mehr als vier Meter tief ist und sich dadurch schnell erwärmt. Zudem nehmen die Torfpartikel der obersten Wasserschicht die Sonnenwärme auf und tragen so zur Wärme bei. Doch aufgepasst: In besonders warmen Sommern können sich Cyanobakterien im See stark vermehren und nach dem Bad ein unangenehmes Jucken verursachen. Im Winter spiegeln sich mit etwas Glück die schneebedeckten Nadelbäume im See. Mit noch mehr Glück kann man sogar auf dem gefrorenen See Schlittschuh laufen. Zur Erkundung zu Fuss gibt es verschiedene Varianten. Dieser Vorschlag folgt der östlichen Seeseite mit den ursprünglichsten Moorwäldern bis zum nördlichen Ende des Sees. Wer Lust und Zeit hat, kann dort eine Zusatzrunde um den See anhängen. Eine Seeumrundung umfasst gut zwei Kilometer.

Skandinavien-Feeling mitten in der Schweiz: der Etang de la Gruère.
Wer hingegen jetzt schon genug vom Wandern hat, kann auch entlang des nördlichen Seeufers nach La Theurre wandern. Dort wartet die Auberge de la Couronne und Postautos fahren nach Saignelégier oder Tramelan. Einen knappen Kilometer entfernt liegt auch das Naturschutzzentrum Les Cerlatez, das allerlei Wissenswertes über Moore vermittelt und mit wechselnden Ausstellungen immer wieder Neues zu entdecken gibt. Es gibt jedoch hervorragende Gründe, auch die letzten sieben Kilometer noch in Angriff zu nehmen. Der erste zeigt sich unmittelbar nach der Abbiegung vom Seeufer in Richtung Le Gros Bois-Derrière. Hier breiten sich ein Flachmoor und eine Feuchtwiese aus, die insbesondere im Frühsommer mit einer schlicht überwältigenden Artenvielfalt aufwarten.

Überwältigende Blütenpracht bei Le Gros Bois-Derrière.
Rouges Terres
Nach Le Gros Bois-Derrière folgen wir einer spärlich befahrenen Strasse durch die typischen Wytweiden der Freiberge, auf denen grosse Feldbäume lose über die weitläufigen Vieh- und Pferdeweiden verteilt sind. Kurz vor Rouges Terres erreichen wir eine wunderbare Anhöhe, von wo sich ein grandioser Ausblick in die Weite der Freiberge eröffnet. Fast beiläufig wartet hinter der Kuppe nochmals ein Moor von nationaler Bedeutung: Östlich des Weges liegt in der Talsenke das Moor von Rouges Terres. Es bildet ein rund 20 Hektaren grosses Mosaik aus einem Bergföhren- und Birkenhochmoor, Moorheiden samt Umfeld und Feuchtwiesen. Wer mag, kann noch ins Tal hinab bis zum Rand des Moors gehen und es aus nächster Nähe betrachten. Ein offizieller Wanderweg führt jedoch nicht hinab, sondern man muss mit einem einfachen Feldweg vorliebnehmen. Sonst kann man sich auch einfach am Anblick des Weilers erfreuen, der mit seinen traditionellen Bauernhäusern und den majestätischen Feldbäumen das Potenzial für jeden Schweizer Kalender hat.

Einblick in das Moor von Rouges Terres.
Etang des Royes
Nur gut einen Kilometer nach Les Rouges Terres wartet, umgeben von Heidelbeersträuchern und mächtigen Tannen- und Föhrenspitzen, eine weitere Perle: der Etang des Royes. Auch dieser Moorsee ist nicht natürlich entstanden, sondern aufgrund eines Dammes, der errichtet wurde, um Wasserkraft für eine Sägerei zu generieren. Diese wird unterdessen nicht mehr betrieben, doch ist der Damm geblieben und mit ihm ein weiteres Moor von nationaler Bedeutung. Im Gegensatz zum grossen Bruder, dem Etang de la Gruère, geht es hier fast immer sehr ruhig zu. In diesem Naturschutzgebiet ist Baden nicht erlaubt, und der Teich kann nicht umwandert werden. Dies stört auch nicht weiter, könnte man mit dieser Szenerie doch problemlos stundenlang am Ufer verweilen. Nun fehlen noch rund drei Kilometer bis nach Saignelégier. Dazu durchschreiten wir abermals faszinierende Wytweiden, überqueren die Hauptstrasse vor und nach Sous-la Neuvevie je einmal und marschieren dann gemütlich in den Bezirkshauptort ein. Dort darf man den nächsten Zug auch gerne auslassen und sich noch einen Apéro oder gar ein Nachtessen gönnen. Es gibt mehrere gemütliche Restaurants, in denen das lokale Bier der Brasserie des Franches Montagnes (BFM) ausgeschenkt wird. Bestellt man ein dunkelbraunes Torpille oder gar ein pechschwarzes Mandragore wird man nochmals angenehm an die dunklen Moorseen erinnert.

Der kleine, aber nicht weniger eindrückliche Bruder des Etang de la Gruère: der Etang des Royes.

www.swisstopo.ch
Route: La Chaux-des-Breuleux – Etang de la Gruère – Les Rouges Terres – Etang des Royes – Saignelégier
Wegstrecke: 13 km
Zeitbedarf: 3,5 h
Höhenmeter: ↗200 m, ↘200 m
Ausgangspunkt: La Chaux-des-Breuleux, Bahnhof
Endpunkt: Saignelégier, Bahnhof
Beste Jahreszeit: Mai bis Oktober
Verpflegungsmöglichkeit: Auberge la Couronne im Weiler La Theurre, rund 500 Meter nordwestlich des Etang de la Gruère. Ausserdem zahlreiche Restaurants im Etappenziel Saignelégier.
Raphael Weber ist seit 2008 Chefredaktor des Pro Natura Magazins, zuvor arbeitete er als Redaktor für verschiedene Tageszeitungen und als Mediensprecher für Médecins Sans Frontières. Die Franches Montagnes sind seit zwei Jahrzehnten seine zweite Heimat.