
Auf die Ziege gekommen!
Sie sind neugierig, sie sind frech, sie können Türschlösser öffnen, auf Bäume klettern, sie können ihre Besitzer in den Wahnsinn treiben, sie können meckern und teilweise sogar schreien: Das sind Ziegen.
Doch es gibt noch so viel mehr über diese faszinierenden Lebewesen zu erfahren. Zum Beispiel zu deren Geschichte. Eine Ziege ist heute ein allseits bekanntes Tier, meist muss man nicht weit gehen, um sie z.B. beim nächstgelegenen Bauernhof anzutreffen. Doch seit wann spielen Ziegen eigentlich eine Rolle für den Menschen? Wofür wurden und werden sie heute noch gebraucht und eingesetzt? Wie tickt eine Ziege und was hat es mit gewissen Vorurteilen ihr gegenüber auf sich? Mit diesen Fragen beschäftigt sich im Übrigen das neue Buch «Die Ziege» von Sue Weaver, in das wir euch hier einen Einblick schenken möchten. Darin erfahren wir mehr über die Geschichte, die Biologie und auch über verschiedenste Rassen der Ziege.

Ziegen sind äußerst soziale Tiere, daher sollten sie mit Artgenossen oder zumindest mit ähnlichen Fluchttieren wie Schafen, Kamelartigen, Pferden oder Eseln gehalten werden. – ©Shutterstock 5z5
Der Mensch und die Ziege
Über den genauen Zeitpunkt ihrer Domestikation scheiden sich die Geister. Man geht aber davon aus, dass das Zusammenleben von Mensch und Ziege vor circa 10 000 Jahren begonnen haben soll. Das Besondere an der Ziege in Ihrem Nutzen für den Menschen liegt in Ihrer Vielseitigkeit und in ihrer Beständigkeit.
Ziegen sind unglaublich robust, sie können tagelang ohne richtiges Futter oder Wasser überleben. Somit waren sie damals auch für ärmere Menschen leicht erschwinglich und dadurch unglaublich wertvoll und praktisch. Sie dienten als Milch-, Fleisch und auch Hautlieferant und sicherten so das Überleben ihrer Besitzer. Später wurden sie zudem für längere Reisen eingesetzt. Zum Beispiel auf Wanderungen. Auch heute gibt es bestimmte Trails und Wanderrouten, wo Ziegen als Lastenträger mit von der Partie sind. So verwundert es auch nicht weiter, dass Ziegen auch bei Entdeckungsreisen mit dem Schiff mit an Bord genommen wurden. Unterwegs wurden dann einige der Ziegen auf diversen Inseln ausgesetzt. So sicherten sich die Leute auf See eine Nahrungsquelle für zukünftige Reisen und Zwischenstopps. So kamen Ziegen übrigens auch in die verschiedensten Ecken der Welt und sind auch noch heute auf vielen Inseln angesiedelt. Da Ziegen richtige Überlebenskünstler sind, hatte ihre Ausbreitung und Vermehrung großen Einfluss auf das vorhandene Ökosystem der jeweiligen Inseln und Ortschaften, wo sie ausgesetzt wurden. Als sogenannte Mischäser (keine ausschließlichen Grasfresser wie z.B. das Schaf) fressen sie alles Mögliche von Laub über Gras bis hin zu grobfasrigen Pflanzen oder Nadelbaumzweigen. Verwilderte Ziegen sind mancherorts ein Problem, da sie den Nutztieren der dort lebenden Menschen die Nahrung streitig machen und oft auch Jungpflanzen abfressen und die Grasnarbe überweiden.

©Unsplash, Thierry Chabot
Dieser Problematik war man sich jedoch damals nicht bewusst. Damals galt einzig und allein der Nutzen der Ziege fürs spätere Überleben.
Neben ihrem Einsatz auf hoher See, traf man Ziegen früher (im 18. Und 19. Jahrhundert) auch oft in Waisenhäusern an. In Waisenhäusern war nämlich eines der zentralen Probleme, dass man nicht genügend Milch für all die verwaisten Babys hatte. Auch lag ein zentrales Problem in der Übertragung von Krankheiten über die Milch (bei spendenden Frauen). Da Ziegenmilch der Menschenmilch sehr ähnlich und sehr gesund und zudem besser verdaulich als beispielsweise Kuhmilch ist, waren diese «Ziegen-Säugammen» eine prima Investition. Der französische Arzt Alphonse Leroy beschrieb 1775 die Verwendung von Ziegen in einem Findelheim in Aix-en-Provence folgendermaßen: «Die Wiegen stehen in einem großen Raum, in zwei Reihen angeordnet. Jede Ziege kommt meckernd herein und sucht sofort ‚ ihren ‚ Säugling auf, schiebt mit ihren Hörnern die Decke beiseite, steigt über die Wiege und nährt den Säugling.»
Nicht nur «zickig» oder «bockig», sondern auch intelligent!
Manch einer könnte denken, dass Ziegen auf Grund ihrer Anpassungsfähigkeit und Robustheit völlig unkompliziert seien. Dass sie z.B. alles fressen, was Ihnen vorgesetzt wird. Dem ist so, wenn sich ihnen keine andere Möglichkeit bietet. Doch Ziegen sind unglaublich intelligent und eigensinnig und wenn sie nicht gerade ums Überleben kämpfen, dann kann eine Ziege durchaus «zickig» sein. Im Vergleich zu anderen Tieren trinkt sie z.B. kein mit Fäkalien verunreinigtes Wasser (das schmeckt sie raus) und verzichtet auf faulendes oder muffiges Futter. Ihr Geschmacks- und auch ihr Geruchssinn sind um ein Vielfaches stärker und komplexer ausgebildet, als es beim Menschen der Fall ist. Ganz besonders mögen sie übrigens süße Sachen, z.B. Obstleckerlis.

©Shutterstock, Ben Schonewille
Obschon es weitaus bekannt ist, dass die Ziege nicht unbedingt ein super-einfaches Tier zum Halten ist und ihren eigenen Kopf hat, so ist sie durchaus lernfähig (wie wir Menschen ja auch). Beginnt man von früh auf mit Übungen, wie z.B. mit einem Klickertraining, so können sich super Erfolge einstellen. Beim Klickertraining wird positives Verhalten durch ein Klicken und eine anschließende Belohnung verstärkt und so vermehrt beigeführt. So lassen sich vor allem bei jungen Ziegen aggressive Verhaltensweisen, wie das mit den Hörnern-Anstoßen gegenüber dem Besitzer und anderen Menschen sehr gut «verhindern» oder abtrainieren.
Sie sind aber auch fähig, ähnlich wie Hunde, schwierigere Aufgaben oder auch Kunststücke zu erlernen. Sie können z.B. lernen, wie man einen Verschluss an einer Tür oder an einem Behälter öffnet, um so ins Freie oder an Futter zu gelangen. Das «Verheerende» daran ist, dass diese Fähigkeiten, einmal erlernt, kaum mehr vergessen gehen. Ziegen sind echte «Ausbrechkünstler» und halten so ihre Besitzer auf Trab. Auch klettern tun sie wahnsinnig gerne. Seien es Steine, Kinderrutschbahnen oder auch Bäume – nichts ist vor ihnen sicher!

Nicht einmal das Pferd ist sicher vor den Kletterkünsten einer Ziege. – ©Thomas Pfulg

Und auch diese Ziegen machen ihrem Namen (Gemsfarbige Gebirgsziegen) alle Ehre. – ©Thomas Pfulg
Last but not least wäre da noch die verbreitete Meinung, sprich das Vorurteil, dass Ziegen stinken würden. Dem ist nicht wirklich so. Übelriechend sind nämlich im Übrigen nur Ziegenböcke in der Brunst. Um Weibchen für sich zu gewinnen sondern die Böcke eine talghaltige Substanz am Hornansatz ab und bespritzen sich zusätzlich mit ihrem eigenen Urin, ganz im Sinne des Sprichworts: «Je mehr der Bock stinkt, desto mehr liebt ihn die Geiß.» (Wallonien)
Weibchen und kastrierte Männchen stinken also nicht, sofern sie in einer sauberen Umgebung gehalten werden und keinen Kontakt zu brünstigen Böcken haben.

Jack der Leitbock – ©M. Hickey
Ziegen sind neugierig, intelligent, sanftmütig und gesellig. Sie sind aber auch unabhängig, frech und eigensinnig. Gerade diese diversen Eigenschaften, diese Bahnbreite gibt der Ziege ihren ganz speziellen und eigenen Charakter.
Und wer weiss, vielleicht sind auch Sie nun beim Lesen auf die Ziege gekommen..?
Sue Weaver ist Expertin für Ziegen und Schafe und Autorin zahlreicher Bücher über Vieh- und Geflügelhaltung. Sie schreibt für die Zeitschrift Hobby Farms und lebt in Arkansas (USA), wo sie Ziegen, Schafe, Pferde, Hühner, einen Esel, ein Lama und ein Hausschwein hält.