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HauptAutoren Hansruedi Weyrich und Daniel Hegglin: Der Bartgeier

Anfang Mai diesen Jahres ist die umfassende Monografie «Der Bartgeier» in unserem Verlag erschienen. Und dies nicht ohne Grund: In diesem Jahr feiern wir 30 Jahre erfolgreiche Bartgeier-Auswilderung in den Schweizer Alpen! Zu diesem Anlass haben wir Naturfotograf Hansruedi Weyrich … Weiterlesen →

Anfang Mai diesen Jahres ist die umfassende Monografie «Der Bartgeier» in unserem Verlag erschienen. Und dies nicht ohne Grund: In diesem Jahr feiern wir 30 Jahre erfolgreiche Bartgeier-Auswilderung in den Schweizer Alpen!
Zu diesem Anlass haben wir Naturfotograf Hansruedi Weyrich und Geschäftsführer der Stiftung Pro Bartgeier und Präsident der Vulture Conservation Foundation Daniel Hegglin interviewt. Beide waren tatkräftig an der Entstehung des Buches beteiligt. In den folgenden Zeilen geben sie uns einerseits einen Einblick in diesen Entstehungsprozess und teilen andererseits Ihre ganz persönlichen Bartgeier-Erlebnisse und ihre Faszination für den stolzen Greifvogel mit uns.

©Hansruedi Weyrich

Woher kommt Ihre Faszination für den Bartgeier?

Hansruedi Weyrich (HW): Von meiner ersten nahen Begegnung mit diesem eindrucksvollen Vogel, die vor vielen Jahren stattfand: Lautlos segelte ein ausgewachsener Bartgeier in geringer Distanz über mich hinweg und schaute mich an. Es war einer dieser unvergesslichen Momente in meinem Leben!

Daniel Hegglin (DH): Ich hatte ein ähnliches Schlüsselerlebnis. Bei einem meiner ersten Einsätze für die Bartgeier legte ich auf einer kleinen Krete frisches Futter für die noch nicht flugfähigen Junggeier aus. Plötzlich kreiste eine riesige Silhouette über mir – ein Bartgeier, der in geringer Distanz neugierig seine Kreise über mir zog. Dieser Moment hatte etwas zeitloses und vermittelte ein intensives Gefühl von ursprünglicher Wildnis.

Erzählen Sie uns etwas über die Entstehung des Buches. Wie kam die Idee für dieses Buch zustande?

HW: Durch die intensive fotografische Umsetzung meiner Begeisterung für die Bartgeier (inkl. Wiederansiedlung und andere europäische Geierarten) kam ein umfangsreiches Spektrum an Bildern zusammen. Bei den zahlreichen Bildvorträgen spürte ich jeweils großes Interesse und geweckte Neugier von Seiten des Publikums an dieser Spezies und dem Projekt. Die Idee mit Informationen und Bildern ein Buch zu gestalten, lag also schon vor Jahren auf der Hand. Diverse Vorabklärungen und vor allem die tatkräftige und fachliche Unterstützung von Hansjakob Baumgartner als Autor und Franziska Lörcher und Daniel Hegglin als Experten ermöglichten die Realisierung.

DH: Ich hatte großen Respekt vor diesem Vorhaben. Insbesondere auch da bereits ein sehr gutes, großzügig gestaltetes Bartgeierbuch existiert. Doch Hansruedi hat mich mit seiner Beharrlichkeit und seinem immer reicher werdenden Bilderschatz überzeugt. Als wir dann auch noch Hansjakob Baumgartner als Autoren gewinnen konnten, war mir definitiv klar, dass wir ideales Setting haben, um eine topaktuelle und wunderschön gestaltete Monografie zum Bartgeier und dessen Wiederansiedlung zu realisieren. So hatten Franziska und ich große Freude an diesem Buch mit unserem fachlichen Hintergrund und unserem Knowhow aus dem Wiederansiedlungsprojekt mitzuarbeiten.

©Hansruedi Weyrich

An dem ganzen Projekt und der Buchidee waren sehr viele Leute beteiligt. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit unter den verschiedenen Beteiligten?

DH: Zusammenarbeit ist die Basis des Erfolgs dieser Wiederansiedlung. Ohne eine nahe Zusammenarbeit verschiedenster Institutionen aus dem Naturschutz, der Zoowelt, der Naturwissenschaften, der öffentlichen Hand und von Akteuren aus jagdlichen Kreisen und der Alpwirtschaft wäre die Rückkehr des Bartgeiers nie geglückt. Eine sehr schöne und sich ideal ergänzende Zusammenarbeit war auch bei der Entstehung dieses Buches ein tragendes Element. Besonders freut mich auch, dass viele Menschen, die bei der Wiederansiedlung des Projektes eine wichtige Rolle gespielt haben, mit einer persönlichen Geschichte zu dieser Monografie beigetragen haben.  

An wen richtet sich das Buch «Der Bartgeier»?

HW: An Menschen, die (Bart-)Geiern begegnet sind und mehr über sie erfahren möchten, Interessierten, die das erfolgreiche Projekt der Stiftung «Pro Bartgeier» verfolgen, begleiten und/oder unterstützen, Ornithologen, Biologen, Naturfotografen, Wanderer, Bergsteiger, usw.

DH: Und nicht zu vergessen – das wunderschöne Buch wird sicher auch Menschen begeistern können, die bisher noch gar nicht mit der «Geierwelt» in Kontakt gekommen sind. Ich bin deshalb überzeugt, dass die Fangemeinde für den Bartgeier durch dieses Buch nochmals anwachsen und die Monografie damit auch dem Schutz des Bartgeiers zugutekommen wird.

Das Buch porträtiert diesen großen, majestätischen Greifvogel. Haben Sie ein persönliches Erlebnis mit diesem Tier, das Sie besonders geprägt hat und Sie hier mit uns teilen möchten?

HW: Eines? Nein, es sind unzählige Begegnungen in den Bergen beim Fotografieren und Beobachten. Besonders eindrücklich sind sie vor allem, wenn sie sehr nahe vorbeifliegen und ein Augenkontakt zu Stande kommt.

DH: Es ist schwierig den einen prägenden Moment auszumachen – da gibt es diese Anekdote: Folio, ein Bartgeier, den wir 1995 im Schweizerischen Nationalpark ausgewildert haben, verlor kurz nach seinem Erstflug seinen Sender. In einer Nacht darauf, wählte er einen Schlafplatz in einer kleinen Felswand. Ich sah, dass die Stelle zugänglich war und versuchte mich im Schutz der Nacht dem Junggeier in Zeitlupentempo anzunähern. Tatsächlich konnte ich mich Folio stark annähern. Gerade brachte ich meinen Kescher in Stellung, als das Jungtier sich um 90 Grad drehte, seinen Schwanz hob und mich mit einer vollen Ladung Kot bespritzte, bevor es mit einem kräftigen Flügelschlag in die Vollmond-beschienene Nacht verschwand. Ich musste schmunzeln und war von diesem Moment gleichzeitigt sehr bewegt.

©Hansruedi Weyrich

Inwiefern hebt sich der Bartgeier für Sie von der Vielfalt der Vogelwelt ab? Was macht ihn besonders/ einzigartig?

DH: Wer immer sich mit diesem Vogel näher befasst, ist fasziniert von seiner schieren Größe, seinem einzigartigen Federkleid und seiner außergewöhnlichen Lebensweise als Verwerter von Knochen toter Tiere. Der Anblick eines Bartgeiers, der langsam und lautlos entlang von felsigen Berghängen gleitet, ist einzigartig und berührend. Persönlich ist der Bartgeier für mich über die vielen Jahre aber auch zu einem wichtigen Vermittler geworden, der zeigt, wie wichtig es ist, dass wir sorgsam mit den Arten umgehen, die über hunderttausende und Jahrmillionen entstanden sind.

Warum ist der Bartgeier wichtig für unser Ökosystem?

DH: Muss er das? Der Bartgeier ist keine Art, deren Vorhandensein entscheidend für ein Ökosystem ist. Natürlich können Geier dem Menschen einen Nutzen bringen. Sie können Kadaver schnell, sauber und billig entsorgen. Dies kann auch im Zusammenhang mit auf den Menschen übertragbaren Krankheiten wichtig sein. Beispielsweise ist die Zahl der Tollwutfälle in Indien angestiegen, nachdem viele Geierarten nahezu verschwunden sind, verwilderten Hunde profitierten von der freigewordenen Nahrungsnische und deren Zahl stieg deutlich an. Doch Bartgeier interessieren sich kaum für frisches Aas sondern primär für die Knochen verendeter Tiere. Zudem leben sie nur in kleinen Dichten. Bartgeier profitieren aber von einem guten Schutz ihrer Lebensräume. Im Alpenraum war die Wiederansiedlung des Steinbocks und der gute Schutz von Gämsen eine wichtige Voraussetzung für dessen Rückkehr. In diesem Sinne ist der Bartgeier sicher eine «Flaggschiff-Art», die für einen umfassenden Schutz alpiner Lebensräume steht.

Im Buch geht es in einem großen Teil auch um die Rolle des Menschen in Bezug auf den Bartgeier und dessen zeitweise Ausrottung in den Alpen. Was möchten Sie den Menschen da draußen dazu auf den Weg geben?

DH: Aus heutiger Sicht ist es schwer nachzuvollziehen, wie dem Bartgeier so viele furchteinflößende «Räubergeschichten» angedichtet wurden. In manchen Lehrbüchern des 19. Jahrhunderts wurde der Bartgeier als wahre Bestie, die selbst vor Kinderraub nicht zurückschreckt, dargestellt. Doch sollte man hier nicht zu schnell urteilen und diese Darstellungen auch im Kontext jener Zeit lesen. Dennoch zeigt die Geschichte der Ausrottung des Bartgeiers sehr eindrücklich, wie wichtig es ist auch Lehrmeinungen kritisch zu hinterfragen und selber genau hinzuschauen. Nur so lässt sich die Natur in all ihren Facetten immer besser verstehen und schützen.

Was würden Sie denen empfehlen, welche gerne mal einen Bartgeier live sehen möchten?

HW: Einen Besuch am Auswilderungs- Stand auf der Melchsee Frutt diesen Sommer, wenn die ausgewilderten Jungvögel das Fliegen erlernen (Informationen unter www.bartgeier.ch).
Eine reelle Chance besteht auch bei Wanderungen in den Bergen im Wallis oder im Engadin. Um dort Bartgeier im Berghang oder am Himmel erspähen zu können, braucht es einen geübtem Blick und eine Portion Glück, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

©Hansruedi Weyrich

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Die Auswilderung ist geglückt, doch wie geht es weiter mit dem Bartgeier und dem Auswilderungsprojekt?

DH: Bartgeier zeichnen sich durch eine äußerst langsame Fortpflanzung aus und sind noch stärker als die meisten anderen Arten auf eine sehr hohe Überlebensrate angewiesen. In einem immer stärker vom Menschen geprägten Lebensraum treten jedoch immer neue Risiken auf, die den Erfolg der Wiederansiedlung gefährden können. Deshalb bleibt eine gute Überwachung der Population auch nach Abschluss der Auswilderungen wichtig. Zudem müssen die geringe genetische Diversität im Bestand und die damit einhergehenden Inzuchtrisiken weiter im Auge behalten werden. Angesichts der weltweit immer stärker bedrohten Geierbestände scheint es mir wichtig, dass die Wiederansiedlung des Bartgeiers auch weit über den Alpenraum hinaus als Lernbeispiel dienen kann. Eine einmal verschwunden Art zurückzubringen, braucht äußerst viele Ressourcen. Dazu gehören auch viel Knowhow, eine große Ausdauer und ein gut koordiniertes Vorgehen. Nur gemeinsam und mit großen Anstrengungen können verlorene Arten zurückgebracht werden. Deshalb tun wir gut daran es erst nicht so weit kommen zu lassen.

©Hansruedi Weyrich


Hansruedi Weyrich fotografiert seit 1993 in der Natur. Seine Begeisterung gilt unter anderem den Tieren des Nordens. In der Schweiz ist er an arbeitsfreien Tagen häufig mit seiner Kamera-Ausrüstung in unterschiedlichsten Landschaften unterwegs. Sehr gute Kenntnisse über die Tiere und ihren Lebensraum sind wichtig bei der Umsetzung von Bildideen.

 

 

 

 

 

 

 

Daniel Hegglin, Dr. sc. nat., ist Geschäftsführer der Stiftung Pro Bartgeier und Präsident der Vulture Conservation Foundation. Er setzt sich seit über 25 Jahren für den Schutz von Geiern ein und arbeitet bei der Arbeitsgemeinschaft SWILD mit den Schwerpunkten Wildtierforschung und Verhaltensbiologie. Er ist Koautor des Buches «Stadtfüchse, Ein Wildtier erobert den Siedlungsraum», das 2006 im Haupt Verlag erschien.