Im Schatten der Zeder
Seit dem Alten Reich ist die Laubheugewinnung und die Nutzung von Stockausschlag in Ägypten belegt. Dieser erfolgt zumeist bei Laubbäumen, sehr selten bei Nadelbäumen (Eibe). Somit gibt es eine Möglichkeit, die im Tempel von Karnak dargestellten ?š-Bäume und der Bäume im Grab des Amenmose als realitätsnahe Wiedergabe von geschneitelten Laubbäumen aufzufassen, aus deren Stammbereich unterhalb der Krone Wasserreiser wachsen. Mittels der technischen Eigenschaften lässt sich keine eindeutige Bestimmung durchfu¨hren, da Holz ein inhomogener Werkstoff ist und die einzelnen Hölzer entsprechend ihrer Vor- und Nachteile verarbeitet wurden. Jedoch steht der derzeit gu¨ltigen Forschungsmeinung, es handele sich um eine Konifere, insbesondere die Schirmpinie, mit Fraxinus spec. ernsthafte Konkurrenz gegenu¨ber, die eindeutige Übersetzungen sowie die geografische Zuordnung der Herkunftsgebiete ermöglicht und zudem ein wertvolles Exsudat liefert. Die Esche ist insbesondere als ideales Waffenholz, in der Innendekoration von Gebäuden und im Innenausbau von Schiffen geeignet, während sie fu¨r den äußeren Schiffskörper im maritimen Einsatz wegen der im Meer vorhandenen Schiffsbohrwu¨rmer und anderer Schadorganismen weniger brauchbar ist. Koniferen (z. B. Zeder) finden im Bootsbau bei der Außenbeplankung, aber auch im Bootsinnern Verwendung (Fichte und Tanne besonders, wenn es um den Bau leichter und wendiger Schiffe geht). Zeder und Zypresse sind wegen ihrer Dauerhaftigkeit auch im Außenbereich als Dachdeckung geeignet und wurden entsprechend eingesetzt. Im Gebrauch als Waffenholz sind Koniferen bis auf die Eibe jedoch als nachteilig zu betrachten. Das Holz des ?š-Baumes wird dagegen universell in allen genannten Bereichen und offenbar unter Ausgleich seiner Nachteile verwendet. Besonders zu beru¨cksichtigen ist, dass es sich um einen Baum handelt, der sowohl an vergleichsweise trockenen gebirgigen Standorten (bspw. im Schluchtwald des Nahr Ibrahim bei Byblos und den „Terrassen“ des Litani) als auch an feuchten, frischen Standorten wie der su¨dlichen Beka‘a-Ebene wächst, in der nach den Textzeugen zweifelsohne alle drei Arten des ?š-Baumes vertreten waren, sodass diese als das Hauptverbreitungs- und Exportgebiet fu¨r ?š-Bäume betrachtet werden muss und nicht das Hochgebirge. Dies entzieht den Zuweisungen der verschiedenen Koniferen an den ?š-Baum, je nach ihrem Verbreitungsgebiet auf dem Höhenru¨cken des Nord- und Su¨dlibanon bzw. der Mittelmeerku¨ste, die Grundlage. Fu¨r die spärlichen, vorwiegend fru¨hzeitlichen Belege, die sich auf die Westwu¨ste bzw. Libyen beziehen und die teilweise fraglich sind, sollte die neutrale Bezeichnung „Schneidebaum“ oder „pollarding-tree“ als Übersetzung gewählt werden, um die Nutzungsart der dortigen Flora zu beru¨cksichtigen, in der die Esche fehlt. Dies hat den Vorteil, dass man nicht wie bei der Koniferentheorie auf die Kyrenaika als Herkunftsort oder westlichem Zwischenhandelsplatz der ?š-Bäume beschränkt ist, sondern dass auch die näher liegenden Senken im Norden der ägyptischen Westwu¨ste sowie die Oasen als Standorte in Betracht kommen, sodass auch Bäume wie die Niltamariske als Substitut fu¨r den ?š-Baum des Libanon in den Fokus genommen werden können. Erkennt man im Vorderen Orient einen Zusammenhang von ?š-Baum und der im natu¨rlichen Waldbestand seltenen Esche an, so ist zu folgern, dass die hohe Esche Fraxinus excelsior L. ein prägender Baum der Auenlandschaft und Schlucht des Litani war, der u.a. einer Intensivierung der Landwirtschaft infolge Bevölkerungsdrucks (vorrangig Weide-, aber auch Ackerflächen), dem Expansionsdrang des ägyptischen Heeres während des Neuen Reiches und einer daraus resultierenden Ausbeutung der natu¨rlichen Ressourcen (Werkholz, Energiegewinnung) zum Opfer fiel. Hinzu kommt ein sich seit der Bronzezeit abzeichnender Klima- und Landschaftswandel, wie er z. B. im nördlichen Bereich des Vorderen und Mittleren Orients deutlich wird. Dies kann in späterer Zeit die literarischen Ausgestaltungen des Naturraums beeinflusst haben. Berichte aus der Spätantike mit einer Bevorzugung der Koniferen in Kult und Mythologie wie von Firmicus Maternus (4. Jh. n. Chr.), der vom Aushöhlen einer Pinie und der Herstellung einer Osirisfigur während der Isisfeierlichkeiten berichtet oder von Nonnos mit dem Geburtsmythos der Menschen aus einer Fichte und dem Überwiegen von Koniferen gegenu¨ber Laubbäumen in den Dionysiaka, spiegeln nicht zwangsläufig die Geisteswelt der Mittleren Bronzezeit wieder. Auch muss wegen der häufigen, beständig steigenden kulturellen Austauschmöglichkeiten mit einer gegenseitigen Inspiration und Veränderung des Kulturgutes sowie der Symbolik gerechnet werden. Trotz der wechselvollen Geschichte des Orients mit seinen zahlreichen sprachlichen Einflu¨ssen und den vielfältigen naturräumlichen Änderungen, sollte eine Kontinuität bei Bezeichnungen von Handelsgu¨tern (wie Manna, lat. sapa, ital. sondro oder syr. sandrôs?) seit dem ägyptischen Altertum u¨ber die Antike bis ins Mittelalter nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Gerade Ägypten besaß mit Kairo und Alexandria ein bedeutendes medizinisch-pharmakologisches Zentrum bzw. einen Handelshafen fu¨r pharmakologische Produkte nach Italien, das eine Vormachtstellung im Orienthandel innehatte. Eine Zäsur stellt das 15./16. Jh. mit seinen geografischen, politischen und religiösen Umwälzungen dar, die eine Abgrenzung vom Orient nach sich zog. In diese Zeit fällt die Errichtung von fu¨r Europa vom Orient unabhängigen Seehandelswegen nach Amerika und Indien, die Ausdehnung des Osmanischen Reiches u. a. mit der Eroberung Konstantinopels und Ägyptens, der Einschränkung der italienischen Vormachtstellung im Mittelmeer, der versuchten Eroberung von Wien sowie die Reformation. Der Aufbau von Eschenmanna-Plantagen gerade in dieser bewegten Zeit in Kalabrien und Sizilien du¨rfte eher als Reaktion auf Handelshemmnisse oder eine steigende Nachfrage in Europa zu werten sein, um Lieferengpässe zu vermeiden und weiterhin u¨ber eine wichtige Arznei oder ein Su¨ßungsmittel verfu¨gen zu können. Es spricht nicht dafu¨r, dass Eschenmanna im Vorderen Orient unbekannt gewesen wäre und lediglich Alhagimanna bzw. Tarangubîn exportiert worden wären. Allerdings sind Art und Umfang (kommerzialisierte Wildsammlung oder Plantagenwirtschaft) der produzierten Menge nicht ersichtlich. Vergleichbare ökonomische Motive lagen dem Beginn des Reisanbaus bei Venedig zu Grunde, der ab dem 16. Jh. nachweisbar ist. Mit dem Fokus auf einen Laubbaum, dessen Exsudat und dem dunklen Öl seiner Samen ergibt sich auf lexikalischer Ebene fu¨r die Mumifizierung ranghoher Personen neben Salzen, Gummen (darunter auch Wacholdergummi) und Harzsäuren als Salbenbestandteilen mit verschiedenen Glykosiden/Mannen eine weitere Stoffgruppe, die konservierend und fäulnishemmend wirkt. Hinzu kommen möglicherweise Tannine, die im Neuen Reich auch von Wasserpflanzen (weißer Lotus, Kalmus?) gewonnen werden konnten. Als Duftstoffe kommen Myrtenbeeren, Meerzwiebel oder auch (Du¨nen-Trichter-)Narzisse in Betracht. Letztere könnten durch Lilienöl substituiert worden sein. Über die Häufigkeit der Verwendung dieser Pflanzenstoffe bei Bestattungen können anhand der schriftlichen Quellen keine Aussagen getroffen werden, da diese immer einen Idealfall schildern und bisher wenige eindeutige Bezeichnungen von Pflanzen im archäologischen Kontext vorliegen bzw. mit naturwissenschaftlichen Methoden nachgewiesen werden konnten. Nach den vorhandenen Schriftzeugnissen aus einem gehobenen sozialen Umfeld (Tempeltexte, Balsamierungsritual) kam Bitumen eine eher untergeordnete Rolle bei der Einbalsamierung zu. Man kann nur wu¨nschen, dass sich durch archäologische Feldarbeit und zunehmend verfeinerte Analysemethoden erneut Chancen bieten, gut erhaltene unverfälschte Salbenru¨ckstände zu bestimmen, um deren Identität näher zu kommen. Vielleicht bieten sich im Falle des ?š-Baumes auch Fasern an, um zu ermitteln, ob die Ägypter mit den Eigenschaften der Esche besser vertraut waren als bisher vermutet, da ihre Rinde zum braun oder blau Färben von Garn geeignet ist. Rezente Standorte der syrischen Esche in der Sharon-Ebene liegen verhältnismäßig nahe zum Nildelta, sodass entsprechende Importe keine allzu großen Schwierigkeiten bereitet haben du¨rften. Nach gut 110 Jahren noch etwas u¨ber den Verbleib der Holzkohlenreste vom 7. Pylon in Karnak zu erfahren, die Ducros beschrieben hat, ist leider illusorisch. Selbst wenn eine Bestimmung durchgefu¨hrt worden wäre, bliebe unklar, ob es sich um die Reste des urspru¨nglichen Mastes oder um einen ju¨ngeren Ersatz handelt. Da die Holzart fu¨r die Masten im Neuen Reich oftmals auch unbezeichnet blieb, die angegebene Holzart in der Perserzeit durch eine andere substituiert oder in der griechisch-römischen Zeit eine Holzart zwar angegeben, aber auf die Errichtung eines Mastes verzichtet werden konnte, bleibt ein naturwissenschaftlicher Beweis zur Identität des ?š-Baumes ohne ein beschriftetes Holzstu¨ck letztendlich äußerst schwierig. Gleichwohl sollte man den Ägyptern zugestehen, dass sie während der Bronzezeit wussten, welches Holz sie importiert haben und wie der dazugehörige Baum aussah. Die detailreiche Darstellung von Laubbäumen im Grab des Amenmose, eines Gesandten Pharaos, ist vertrauenswu¨rdig und aus heutiger Sicht nicht zu bezweifeln.
Autor: | Kemna, Claudia M. |
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ISBN: | 9783981743838 |
Auflage: | 1 |
Sprache: | Deutsch |
Seitenzahl: | 198 |
Produktart: | Kartoniert / Broschiert |
Verlag: | Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Ägyptologie und Koptologie |
Veröffentlicht: | 26.02.2019 |
Untertitel: | Eine kulturu¨bergreifende Spurensuche zu Identität und kultischer Verwendung des ?š-Baumes |
Schlagworte: | Altes Ägypten Esche Holzgewinnung |
Altersempfehlung: | 20 - 99 |