Genetische Diversität und Konnektivität der hessischen und nordrheinwestfälischen Rotwildbestände
Anthropogene Barrieren, insbesondere Verkehrsinfrastruktur, Jagd und Besiedlung zerschneiden die Habitate der Wildtiere, sodass ein zusammenhängender Genfluss verhindert wird. Die so entstehende Isolation beeinträchtigt die genetische Diversität der Populationen erheblich und dementsprechend den langfristigen Erhalt von Arten. Selbst Populationen mit hohen Tierzahlen leben zwar nebeneinander, können aber nicht als Metapopulationen voneinander profitieren, sodass mindestens ihre Anpassung an den Lebensraum gefährdet ist. Als Kenngröße für Diversität und Anpassungsfähigkeit ist die effektive Populationsgröße in der einschlägigen Literatur etabliert. Die 100/1000-Regel besagt, dass eine Population zum Erhalt der Anpassungsfähigkeit mindestens 1000 genetisch diverse und fortpflanzungstechnisch aktive Tiere benötigt. Sinkt diese Zahl unter 100 so können Inzuchtdepressionen nicht mehr aufgefangen werden und die Tiere dieser genetisch eintönigen Populationen leiden mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Inzuchtdepressionen, welche sich besonders in verminderter Fruchtbarkeit, Krankheitsresistenz und der Insuffiziens anderer polygener Merkmale darstellen. Auch das Auftreten von Missbildungen nimmt mit steigendem Homozygotiegrad zu. Zur Charakterisierung und Bestimmung des genetischen Gesundungszustandes der Populationen in Hessen (HE) und Nordrheinwestfalen (NRW) wurden 2490 Proben in insgesamt 40 Rotwildgebieten genommen. Die Proben wurden mit Hilfe von 16 in Vorläuferstudien ausgesuchten Mikrosatelliten repräsentativ und vergleichbar bearbeitet. Nachdem über Bayes’sche Verfahren, Fst und den Vergleich der Allele die Konnektivitäten der Gebiete untereinander ausgearbeitet wurden, konnten isolierte Gebiete aufgezeigt und von übergeordneten Regionen mit Verbindung abgegrenzt werden. Die Metapopulationen mit vorhandener Konnektivität wurden im Anschluss auf ihren Allelreichtum untersucht und deren Allelpotenzial und effektive Populationsgröße berechnet. In nur zwei Großgebieten, dem Rothaargebirge (acht Probengebiete) und der Eifel (vier Probengebiete) wurde eine effektive Populationsgröße von 1000 im Verbund der Metapopulationen gesichert übertroffen, wodurch die langfristige Anpassungs- und Überlebensfähigkeit gesichert scheint. Sieben der Gebiete lagen unter einer effektiven Populationsgröße von 100, die Bereiche Minden (52,5; NRW), Hünxe (53,4; NRW) und Wahner Heide (99,7; NRW), vier Gebiete unterschritten sogar eine effektive Populationsgröße von 50, der Reichswald Kleve (8,7; NRW), die Nutscheid (17,7; NRW), das Ebbegebirge (19,3; NRW) und der Krofdorfer Forst (44,2; HE), sodass diese nicht mehr in der Lage scheinen auf kurzfristig auftretende Inzuchtdepressionen reagieren zu können. Die Vermutung, dass in NRW durch die höhere Besiedlungsdichte als in HE eine stärkere Verinselung der Rotwildgebiete vorliegt, wurde durch die aktuelle Studie bestätigt. Der direkte Vergleich (Eifel – Waldhessen) zeigte jedoch auch, dass die Vorgaben zum jagdlichen Management des Landes NRW genetisch und damit wildbiologisch besser an das Rotwild angepasst sind als die des Landes Hessen. Beide langfristig anpassungsfähigen Gebiete lagen komplett (Eifel) oder zu großen Teilen (Rothaargebirge) in NRW. Es zeigte sich, dass landesweit pauschalisierende Managementvorgaben den individuellen Gegebenheiten der Rotwildgebiete nicht gerecht werden, sodass, wie in NRW unter Einbeziehung der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung, den Hegegemeinschaften eine besondere Bedeutung in der Erhebung evidenzbasierter Daten der Rotwildpopulationen zukommt. Diese Daten müssen vom Rotwild-Management berücksichtigt werden, um z.B. genetisch notwendige Altersstrukturen und Wanderhirsche zu fördern. Aufbauend auf den Ergebnissen der vorliegenden Studie sollte zur Vernetzung der 29 genetisch suboptimal aufgestellten Rotwildpopulationen den Wanderhirschen im Alter von 1-5 Jahren eine besondere Bedeutung zukommen. Die hierzu notwendigen Wanderkorridore müssen erschlossen, freigehalten und gegebenenfalls neu geschaffen werden, um die voneinander getrennten Rotwildgebiete wiederzuvernetzen. Hirsche im Alter bis fünf Jahre sind demnach in rotwildfreien Gebieten zu schonen und bauliche Barrieren, wie z. B. Autobahnen, müssen passierbar sein. Ganzheitlich gedachte Konzepte des facettenreichen Rotwildmanagements mit Zonierungen für Mensch und Tier, Einbeziehung der Bevölkerung, einer Politik auf Augenhöhe und der Beachtung der klimatischen, ökologischen und ökonomischen Bedingungen sind zwar eine immense Herausforderung aber unabdingbar, um unseren Wildtieren und besonders dem Rotwild eine Zukunft zu erhalten. Die lückenlose Beweiskette dieser Studie zur Ausarbeitung isolierter Populationen (STRUCTURE, DAPC, BAPS, TESS, Fst und Allelvergleich), genetischer Verarmung (Allelpotenzial und effektive Populationsgröße) bis hin zu signifikant erhöhten Homozygotiewerten bei misgebildeten Individuen aus Vorgängerstudien beweisen die Probleme des Rotwildes trotz lokal oft hoher Vorkommen und zeigen ein bislang suboptimales Management. Die aufkommenden Konflikte sind dabei hauptsächlich ökonomisch-menschlicher Natur, schaden aber dem Rotwild kurzfristig durch jagdliche Mortalität und mittel- bis langfristig durch genetische Letalität. Anthropogenic barriers, in particular transportation infrastructure, hunting and settlement, fragment wildlife habitats, preventing a continuous gene flow. The resulting isolation significantly impairs the genetic diversity of populations and therefore the long-term conservation of species. Even populations with large numbers of animals living side by side cannot benefit from each other as metapopulations, so that at the very least their adaptation to the habitat is at risk. The effective population size has been established in the relevant literature as a parameter for diversity and adaptability. The 100/1000 rule states that a population needs at least 1000 genetically diverse and reproductively active animals to maintain its adaptability. If this number falls below 100, inbreeding depression can no longer be absorbed and the animals in these genetically monotonous populations are very likely to suffer from inbreeding depression, which manifests itself particularly in reduced fertility, disease resistance and the insufficiency of other polygenic traits. The incidence of deformities also increases with increasing levels of homozygosity. To characterize and determine the genetic health status of the populations in Hesse (HE) and North Rhine-Westphalia (NRW), 2490 samples were taken in a total of 40 red deer areas. The samples were processed with the help of 16 representative and comparable microsatellites selected in preliminary studies. After Bayesian methods, Fst and the comparison of alleles were used to analyze the connectivity of the areas among each other, isolated areas could be identified and delimited from superordinate regions with connectivity. The metapopulations with existing connectivity were then examined for their allele richness and their allele potential and effective population size were calculated. In only two large areas, the Rothaargebirge (eight sample areas) and the Eifel (four sample areas), an effective population size of 1000 was reliably exceeded in the network of metapopulations, which seems to ensure long-term adaptability and survivability. Seven of the areas were below an effective population size of 100, Minden (52.5; NRW), Hünxe (53.4; NRW) and Wahner Heide (99.7; NRW), four areas even fell below an effective population size of 50, the Reichswald Kleve (8,7; NRW), the Nutscheid (17,7; NRW), the Ebbegebirge (19,3; NRW) and the Krofdorfer Forst (44,2; HE), so that they seem to be no longer able to react to short-term inbreeding depressions. The assumption that the higher human population density in NRW than in HE means that red deer areas are more isolated was confirmed by the current study. However, the direct comparison (Eifel - Waldhessen) also showed that the hunting management guidelines of the state of NRW are genetically and therefore biologically better adapted to red deer than those of the state of Hesse. Both long-term adaptable areas were completely (Eifel) or to a large extent (Rothaargebirge) in NRW. It became apparent that state-wide generalized management guidelines do not do justice to the individual conditions of the red deer areas, so that, as in NRW with the involvement of the Research Centre for Hunting Science and Game Damage Prevention, the hunting communities are of particular importance in the collection of evidence-based data on red deer populations. This data must be taken into account by red deer management, e.g. in order to promote genetically necessary age structures and migratory deer, especially males. Based on the results of the present study, particular importance should be attached to migratory stags aged 1-5 years in order to connect the 29 genetically suboptimally positioned red deer populations. The necessary migration corridors must be conserved and, if necessary, newly created in order to reconnect the separated red deer areas. Stags up to five years of age must therefore be protected in areas free of red deer and structural barriers, such as highways, must be passable. Holistically conceived concepts of multi-faceted red deer management with zoning for humans and animals, involvement of the population, a policy at eye level and consideration of climatic, ecological and economic conditions are an immense challenge but indispensable in order to preserve a future for our wild animals and especially for red deer. The seamless chain of evidence in this study on the development of isolated populations (STRUCTURE, DAPC, BAPS, TESS, Fst and allele comparison), genetic impoverishment (allele potential and effective population size) and significantly increased homozygosity values in malformed individuals from previous studies prove the problems of red deer despite locally often high populations and show suboptimal management to date. The emerging conflicts are mainly of an economic-human nature, but harm the red deer in the short term through hunting mortality and in the medium to long term through genetic lethality.
Autor: | Laumeier, Julian |
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ISBN: | 9783835972186 |
Sprache: | Deutsch |
Seitenzahl: | 276 |
Produktart: | Gebunden |
Verlag: | VVB Laufersweiler Verlag |
Veröffentlicht: | 07.02.2025 |
Schlagworte: | Biotopverbund Genfluss Hirsch Inbreeding Migration Red Deer Rotwild Wildtierforschung Wildtiergenetik Ökosystemdynamik |